Liebe Mitglieder der Kirchengemeinde und liebe Bürgerinnen und Bürger der Ortsgemeinde, meine sehr geehrten Damen und Herren, heute wird an zahlreichen Orten der Volkstrauertag begannen.
Warum versammeln wir uns an einem Volkstrauertag und warum wird eigentlich soviel Aufhebens um den Volkstrauertag gemacht?
Ich werde es aus meiner Sicht versuchen zu beantworten.
Der Volkstrauertag ist ein Gedenktag, um an die zahlreichen Opfer zweier Weltkriege zu erinnern, die jeweils in Europa ihren Anfang nahmen. Der Gedenktag soll uns daran erinnern, dass jede kriegerische Auseinandersetzung grauenvoll ist. Im Krieg werden Menschen verstümmelt, traumatisiert und getötet. Durch einen Krieg verlieren Menschen ihr Heim, werden aus ihrer Heimat vertrieben und es werden unendlich viele Güter und Vermögenswerte vernichtet, die über Jahrzehnte erarbeitet wurden.
Alles Worte, die uns das eigentliche Ausmaß eines Krieges nicht begreifbar machen können. Unsere Eltern und Großeltern könnten uns aus ihrer Jugend über diese grauenvolle Zeit berichten. Jedoch ist es für die Berichterstatter nicht immer einfach, das verdrängte Trauma preiszugeben. Wenn dennoch Menschen über ihre Zeit im Krieg berichten, erfolgt dies meist emotional unter Tränen. Der seelische Konflikt, der ein zwanghaftes Erinnern im Unterbewusstsein auslöst, muss sehr schmerzhaft sein.
Und dies ist nachvollziehbar: Wer mag sich schon daran erinnern, selbst den Tod vor Augen gehabt zu haben, während in unmittelbarer Nähe ein Mensch oder auch mehrere Menschen von einer Granate zerfetzt wurden. Wer mag sich schon daran erinnern, wenn durch Beschuss oder Explosionen den Menschen in unmittelbarer Nähe, Arme oder Beine abgetrennt wurden. Oder was hat man empfunden, wenn Menschen mit aufgeplatzter Bauchdecke nach ihrer Mutter riefen oder um Erlösung flehten. Zugleich frage ich mich, wie ist es den Menschen ergangen, die als Teil des Krieges andere Menschen getötet haben. Alles grauenvolle Bilder und Erinnerungen, die im Unterbewusstsein unserer Eltern und Großeltern tief vergraben wurden.
Wollen wir wirklich, dass das erlebte Leid bei diesen Menschen wieder aufgerufen wird?
Ich denke, dass wäre der falsche Weg. Wir müssen einen anderen Weg finden, um das Grauen des Krieges den Menschen in unserer heutigen Gesellschaft als Mahnung begreifbar zu machen.
Allein mit schönen Worten lassen sich die Menschen in unserer Gesellschaft jedoch nicht erreichen. Ich glaube, wir brauchen mit den verantwortlichen Vertretern in den Vereinen einen nachhaltigen Dialog. Nur so kann es gelingen, dass der Volkstrauertag als Gedenktag für eine bessere und friedvolle Gesellschaft auf unserem Globus von den Menschen angenommen wird. Zugleich wird ein intensiver Dialog mit dem was „war“ und was „ist“ dazu beitragen, dass das demokratische Gefüge in unserer Gesellschaft gestärkt wird.
Markus Meckel, Präsident des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge schreibt in seinem Geleitwort zum Volkstrauertag 2015:
„Am Volkstrauertag, wenn in Deutschland die Fahnen auf Halbmast wehen, gedenken wir der deutschen Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen. Wir begehen in diesem Jahr einen bedeutenden Jahrestag, das Ende des Zweiten Weltkrieges vor siebzig Jahren. 1945 befreiten die Alliierten Deutschland vom Nationalsozialismus und beendeten damit das Sterben auf den Schlachtfeldern, in den Vernichtungslagern und in den ausgebombten Städten.“
Sind wir also, wenn wir der Kriegstoten des 20. Jahrhunderts gedenken, in einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die uns ohne Berührungspunkte zum Hier und Jetzt nicht mehr ängstigen muss?
Die Schreckensbilder in den Abendnachrichten machen rasch deutlich, dass die Welt auch heute nicht vom Frieden regiert wird und Menschen nach wie vor unter Hunger, Krieg und Verfolgung leiden. So sind unsere Gedanken in diesem Jahr auch bei den Menschen im Irak und in Syrien, im Nahen Osten und in der Ukraine, bei allen Opfern von Konflikten auf dieser Welt. Unsere Gedanken sind zugleich bei den Familie, deren Angehörige beim dem Terroranschlag in Paris ihr Leben verloren haben.
Um die Fehler von gestern, heute und in der Zukunft nicht zu wiederholen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Indem wir die Toten und die Orte des Schreckens nicht vergessen, wird ein unerlässlicher Beitrag zum Frieden und zur Demokratie in der Gegenwart geleistet.
Zu diesem Gedenken und Erinnern liefert der Volksbund seit nunmehr fast hundert Jahren einen wichtigen Beitrag. Er erhält und pflegt im Auftrag der Bundesregierung Ruhestätten von Soldaten als Mahnmale gegen Krieg und Gewaltherrschaft.
Die Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist in 45 Staaten und auf derzeit 832 Friedhöfen tätig. Dadurch wird den Toten ein Grab gegeben und es wird damit ein Abschiednehmen, ein Trauern und Erinnern ermöglicht.“
Auch wir werden im Anschluss an dem Gottesdienst als Gemeinde einen Kranz am Mahnmal zweier Weltkriege niederlegen und daran erinnern, dass wir nicht vergessen dürfen und immer wachsam sein müssen.
Der Volksbund ist jedoch keinesfalls nur im Interesse der Toten und ihrer Angehörigen tätig. Vielmehr verfolgt er mit seiner schulischen und außerschulischen Jugendarbeit zukunftsorientierte und friedenspädagogische Ziele.
Herr Meckel von der Kriegsgräberfürsorge betont in seinem Geleitwort die Notwendigkeit, der Toten zu gedenken und die Deutungshoheit über Kriegsgräber nicht der Beliebigkeit anheimfallen zu lassen. Dies mahnt er in Anbetracht der Feinde unserer Demokratie deutlich an.
Viele dieser Gruppen, die auch auf junge Menschen eine hohe Anziehungskraft ausüben, sehen im europäischen Integrationsprozess die Wurzel allen Übels. Richtig ist, dass die Europäische Union vor großen Herausforderungen steht, wodurch sie regelmäßig auch unter Legitimationszwang gerät.
Eines der größten Herausforderungen erleben wir derzeit. Millionen von Menschen, die ihre Heimat im Nahen Osten, Afghanistan oder in Afrika verlassen haben, kommen derzeit über die Balkanroute oder über das Mittelmeer zu uns. Es sind vorwiegend Menschen, die aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen in ihren Ländern, Schutz für sich und ihren Familien in Europa suchen.
Es sind jedoch nur wenige Länder in der Europäischen Union, die den Menschen in Not eine Bleibe bieten. Diese Länder leiden mittlerweile unter der selbst auferlegten Bürde. Die Bürger in diesen Ländern lehnen zunehmend eine weitere Aufnahme an Flüchtlingen ab. Sie spüren mittlerweile Einschränkungen im Tagesablauf, wie die vorübergehende Schließung von Sporthallen oder die Konzentration der Unterbringung an Flüchtlingen in unmittelbarer Nähe zur Wohnung.
Zugleich ist es beschämend, dass viele Länder der Europäischen Union eine Aufnahme ablehnen. In diesen Punkt driftet die Europäische Union auseinander. Aber auch in Deutschland nehmen die gesellschaftlichen Spannungen ein unerträgliches Maß an.
Schaffen wir es tatsächlich, wie Frau Dr. Angela Merkel es als Ziel vorgibt? Ich weiß es nicht, aber welche Alternativen haben die Menschen, die derzeit in unser Land strömen?
Vor 25 Jahren konnte der Osten Europas, der bis 1990 vom Sowjetkommunismus beherrscht wurde, erstmalig am europäischen Integrationsprozess teilnehmen. Für uns in Deutschland eine besondere Hürde, die wir mit Bravour gemeistert haben.
Zugleich begann mit dem Sieg von Freiheit und Demokratie in den weitgehend friedlichen Umbrüchen vor 25 Jahren ein neues Zeitalter für Europa. Und indem wir an diejenigen erinnern, denen diese universellen Werte nicht zuteilwurden, unterstreichen wir ihre Bedeutung als ein hohes und schützenswertes Gut. Hierin sehe ich eine unserer vordringlichsten Aufgaben, nicht nur am Volkstrauertag.
Literatur
Heft: 70 Jahre Kriegsende, Volkstrauertag 15. November 2015, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.